Rheuma ist nicht gleich Rheuma. Und Krebs ist nicht gleich Krebs. Jede Erkrankung ist von Patient zu Patient ein bisschen anders – sie hat ihren eigenen Fingerabdruck. Im besten Fall gelingt es, diesen Fingerabdruck genau zu untersuchen, individuelle Merkmale zu erkennen und mit Medikamenten zu beeinflussen: „In etlichen Untersuchungen wurde dokumentiert, dass Patienten bessere Therapieergebnisse haben, wenn sie konsequent präzisionsmedizinisch behandelt wurden. Leider geschieht das bei weitem nicht überall in Deutschland“, kritisiert der vfa.

Bis zu 60.000 Menschen in Deutschland hören jedes Jahr die Aussage: „Sie haben Lungenkrebs“. Vor nicht all zu langer Zeit musste diese Information als Diagnose genügen. Heute ist das nicht mehr so. Heute unterscheiden Wissenschaftler und Mediziner nicht nur zwischen verschiedenen Formen von Lungenkrebs, sondern können zudem molekulare und zelluläre Besonderheiten eines jeden einzelnen Tumors untersuchen.

85 Prozent aller Betroffenen haben nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (NSCLC). Mit der Erforschung von Biomarkern – messbare Indikatoren, die Aufschluss über biologische Prozesse im Körper geben – „und der Entwicklung darauf basierender Diagnostika und Präzisionstherapeutika hat sich die Situation grundlegend verbessert, da sich hierdurch klar eingrenzen lässt, welche Therapien am besten wirken“, heißt es im Biotech-Report 2025 von vfa und Boston Consulting Group (BCG). „So werden heute bei fast der Hälfte aller NSCLC-Patienten Mutationen gefunden, von denen sich gegenwärtig grob zwei Drittel mit Präzisionsmedikamenten behandeln lassen“ (s. Grafik). Zum Beispiel weisen viele NSCLC-Patienten eine Veränderung im KRAS-Gen auf. Ist ein Arzneimittel verfügbar, kann es zielgerichtet zum Einsatz kommen. Gegen eine bestimmte Variante dieser Mutation (KRAS G12C) ist etwa ein sogenannter KRAS-Hemmer zugelassen, der spezifisch die Aktivität des mutierten KRAS-Proteins blockiert und so das Tumorwachstum hemmen soll.

Ziel der Präzisionsmedizin: Bessere Behandlungsergebnisse

Lungenkrebs: Verschiedene Formen erkennen.

„Aufgrund der Einführung dieser diagnostischen Tests und der entsprechenden Präzisionstherapeutika hat sich das Gesamtüberleben (overall survival, OS) bei Patienten mit NSCLC im Vergleich zur konventionellen Chemotherapie signifikant verbessert“, schreiben die Autoren des Biotech-Reports. Sie verweisen auf Daten zu fortgeschrittenen, nicht-kleinzelligen Lungenkrebserkrankungen, bei denen eine Mutation im sogenannten EGFR-Gen identifiziert wurde. Betroffene, die mit entsprechenden EGFR-Inhibitoren behandelt wurden, zeigten demnach ein Gesamtüberleben „von nahezu 40 Monaten, während es unter konventioneller Chemotherapie weniger als 10 Monate betrug. Auch die Lebensqualität ist deutlich erhöht, da die modernen Medikamente oft weniger Nebenwirkungen verursachen“.

Heutzutage gibt es Medikamente mit 136 unterschiedlichen Wirkstoffen, die präzisionsmedizinisch einsetzbar sind. Neun davon werden individuell aus Zellen des Patienten hergestellt – wie im Fall der CAR-T-Zelltherapie. Die restlichen Präparate zählen zu den Präzisionsmedikamenten, weil ihre Verordnung „jeweils erst nach diagnostischem Eignungstest erfolgen soll“. Die Mehrheit aller Präzisionsmedikamente (76 Prozent) richtet sich gegen Krebsleiden. „Die übrigen werden vor allem gegen immunologische, Stoffwechsel- und neuromuskuläre Erkrankungen eingesetzt“, so der vfa.

Präzisionsmedizin: Mehr Patienten könnten davon profitieren

Präzisionsmedizin: Potenzial für mehr. © fernando zhiminaicela auf Pixabay.com

„Deutschland schöpft das Potenzial dieser Präzisionsmedizin bei weitem nicht aus“, erklärt der Pharmaverband. Auch am Beispiel NSCLC (s. Grafik) zeigt sich: 12 Prozent der Patienten sind nicht getestet – ihnen entgeht im Zweifel die Chance auf eine Behandlung, die auf ihren Tumor zugeschnitten ist.

Mehrere Faktoren stehen einer umfassenden Präzisionsmedizin im Weg: „So mangelt es insbesondere in ländlichen Regionen an spezialisierten Fachärzt:innen und geeigneten diagnostischen Laboren. Teilweise gibt es auch finanzielle Aspekte: So ist für einige Vortests die Vergütung nur im ambulanten Bereich, nicht aber für den Einsatz in Kliniken geklärt. Und genetische Diagnostik, die über das Abprüfen des Mutationsstatus einzelner Gene hinaus geht, wird von Krankenkassen noch gar nicht im Rahmen der Regelversorgung übernommen. Dabei ist beispielsweise bei Verdacht auf angeborene Gendefekte eine Sequenzierung des gesamten Genoms angezeigt“, fasst der vfa zusammen.

Laut dem Pharmaverband müssten dringend auch die „Zulassungs- und Erstattungsentscheidungen für Diagnostika und Therapeutika“ synchronisiert werden. Auf dem Vision Zero Berlin Summit kritisierte kürzlich Gynäkologin und Brustkrebsexpertin Prof. Dr. Nadia Harbeck: „Keine Patientin kann verstehen, warum ein Medikament zugelassen wird, aber der [therapierelevante] Test erst ein halbes Jahr später vergütet wird“. Es vergeht wertvolle Zeit, bis das Präparat regelhaft zur Anwendung kommt – Zeit, die schwerkranke Menschen nicht haben.

Quelle: https://pharma-fakten.de/

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